Samstag, 4. Februar 2006

the tiger lilly line

00000159das wird jetzt eine lange geschichte, denn das mit den tiger lillies, das hat eine vorgeschichte noch in den 90ern. nach london bin ich damals abgepascht, für eine woche, wenn ich mich recht erinnere, allein und von heute auf morgen, wie ich es oft gemacht habe, nur weg aus der stadt, rucksack gepackt, zugticket, jugendherberge, los gehts, nur weg. alles anschaun, nach dem theater auf einer themsebrücke stehen und in die lichter schauen und denken, es ist gut, und warten, mein leben, was es alles sein könnte, wer bin ich denn, mitte zwanzig, wer kennt mich. und in der jugendherberge, wo die japanerinnen im schlafsaal um sieben uhr morgens anfangen, ihre raschelnden wäschesackerl umzuschlichten und wieder umzuschlichten, so dass ich nie genug schlaf erwische und wie in watte herumgehe, dort hab ich mein buch neben dem kopfpolster, und eine schöne große frau kommt ins zimmer, weiße haut, schwarze locken, hi, sage ich, sie antwortet hallo, sie hat mein buch gesehen, wir sprechen beide deutsch, jana heißt sie und kommt aus leipzig und ist auch allein unterwegs. und den rest der zeit verbringen wir gemeinsam, fahren mitten in der nacht in die vorstadt auf ein konzert, erkennbar fremde in der örtlichen stammkneipe, wo die buben ihre gitarren dreschen, ein paar bier, beäugt werden, und auf der straße bin ich so stolz, so eine schöne frau geht da neben mir her, als wär das selbstverständlich, soziologie hat sie studiert und wollte professorin werden, vielleicht ist sie es bald.

und dann hab ich sie besucht in ihrer winzigen wohnung in leipzig und mit ihr und ihren freundInnen ausflüge gemacht. wie anders die drauf waren, wieviel sicherer, kam mir vor, wie die mädels alle wussten, was sie wollten, und das auch sagen konnten und sagen durften, muss was mit dem realsozialismus zu tun haben, dachte ich mir, und sie nickte dazu. und dann kam sie nach wien, und wir haben die grand tour gemacht, sogar raus bis zum donauturm und am abend dann ins burgtheater, schillers fiesco mit sven eric bechtolf, der unter dem rock einer dame verschwindet und mit feuchtglänzendem gesicht wieder auftaucht, der ältere herr neben uns verlässt empört das theater, und zum schluss gibts applaus und ein paar pfiffe, und wir trinken noch was, wahrscheinlich, denn ich erinnere mich nicht, nur mehr daran, wie überdreht wir waren, aufganserlt, und im programmheft stand musik: the tiger lillies. und so hab ich den typen im plattenladen gebeten, mir die cd zu bestellen. the brothel to the cemetery, das puff beim friedhof, und genau so hört es sich auch an.

ich bin wie immer sofort völlig reingekippt auf den sound, auf das quietschende kirtag-akkordeon und das schlagzeug mit den blechdosen und natürlich vor allem auf die stimme, tom waits auf helium hat sie mal wer beschrieben, und das triffts wohl auch am besten, ein falsett, das einem die scheiben zersägt. alone with the moon. in den liedern wimmelt es von tätowierten huren und soldaten und betrunkenen bettlern, von matrosen und alten einsamen frauen, von sodomie und tod und schuld und verbrechen, es ist eine freude, walzer und polka und ringsherum. die melodien sind keine offenbarung, aber vielleicht ist auch das ein reiz, hundertemale hab ich die cd gehört, immer wieder, und dann bin ich wieder losgefahren, an einem 30. dezember diesmal, nach berlin, denn schwesterchen sagte, die tiger lillies wären in der kalkscheune, und niemand in wien hatte pläne für silvester, und ich wollte nicht mehr warten und bin wieder in den zug und fort. und die show war der größte spaß, auf eine möglichst kranke art sexbesessen und dazu ein wenig shock-and-horror, eine sideshow, wie sie sein soll.

jana habe ich wenig später aus den augen verloren, denn man gibt sich hin und nimmt sich wieder zurück, aber die tiger lillies tauchen immer wieder auf. jetzt sind sie in wien mit einem stück über das mädchen mit den schwefelhölzern, sie machen viel theater in den letzten jahren, shockheaded peter, punch and judy, eine circusshow, lauter stoffe aus dem 19. jahrhundert, was das angeht, sind sie klarer geworden, mehr auf ein genre festgelegt, aber beim letzten, fast etwas zu beschaulichen konzert in der arena, als das publikum sich was wünschen sollte, hab ich nach sex with flies geschrien, und da ist dem großen bösen mann mit der schönen stimme beim singen doch wieder das grinsen ausgekommen.

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bell7 - 7. Feb, 12:55

denn man gibt sich hin und nimmt sich wieder zurück das erinnert mich an unser gespräch gestern




schöne geschichte! aber konzert in der szene gewesen ist odr?
geiler blinkender schriftbanner, neid.

gingerbox - 7. Feb, 18:08

alles gestohlen, alles: gibt sich hin etc. ist aus einem artikel über libuse monikova, das banner von der tiger-lillies-website.
aber trotzdem meins. und ja: wie gestern. wie immer. wie oft.

szene, stimmt natürlich.

liquid center

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