Sonntag, 3. Juli 2005

drah di net um

tatortdie neigungsgruppe nachdenken/AG umsturz und verwandte hat ihre dritte ordentliche sitzung durchgeführt und dabei einiges an gedanken produziert, das ich im interesse der diskutandInnen und der geschätzen öffentlichkeit hier kurz aus dem gedächtnis zusammenfassen will.

hausaufgabe war die lektüre des artikels The Situationist International: A Case of Spectacular Neglegt von Sadie Plant (Radical Philosophy 55, Summer 1990, 3-10). bis sich das diskutierdreieck vollständig versammelt hatte, war allerdings bereits ein gespräch über das situationistische urmaterial schlechthin, den konkreten alltag entstanden, das im laufe des abends sich nicht mehr direkt situationistisch grundieren lassen wollte, so dass die theoriegeschichte ein wenig zu kurz kam. aber sei’s drum!

am längsten diskutierten wir über deutsche tv-krimis und die figur des kommissars. wir definierten den kommissar, der nur für seinen job lebt und seine wohnung alle 14 tage wechselt, weil er ohnehin nie zuhause ist, als weltliche variante des mönches: beide sagen nein zur welt und verzichten auf ein privatleben, um einer höheren ordnung zu dienen – anders als kommissarinnen, die stets mit privatem umfeld gezeichnet werden und deren fälle sie auch immer privat, persönlich betreffen.

das führte uns zu einem besonderen ermittlerduo, von dem die eine hälfte ein gewaltätiger schläger ist, der das gesetz immer wieder aufgrund emotionaler betroffenheit überschreitet und im speziellen sexualstraftäter schnell und gern verprügelt, während sein partner dies zwar nicht billigt, aber auch nicht soweit kritisiert, dass sich daraus ein konflikt ergeben würde. dieser gewalttätige kommissar entspricht interessanterweise nur zum teil dem modell. zwar ist auch er nicht in irgendeiner weise beheimatet, aber er hat kinder, wenn nicht gar töchter, was seine übergriffe in den augen der zuseherInnen zumindest verständlich, wenn nicht gar richtig erscheinen lässt.

um das zu erklären, holten wir aus: das gesetz, die abstrakte höhere ordnung gilt zwar offiziell als absolut, aber unausgesprochen ist es notwendig, diese ordnung mit leben zu erfüllen. das zeigt sich klar an der figur des paragraphenreiters, der stur auf der einhaltung des buchstabens besteht und dafür als feindbild inszeniert und gleichzeitig lächerlich gemacht wird. er missversteht grundlegendes: lebendig, das heißt: vollendet wird das gesetz nur in der überschreitung, wie sie in der figur des gewalttätigen polizisten vorgeführt wird. wie die religiösen mystikerInnen, die sich den strengen regeln ihrer orden in extasen der körperlichen vermählung mit gott entzogen, weist auch der übergriff des polizisten auf einen behaupteten mangel hin, auf ein versagen der abstrakten ordnung an der konkreten erfahrung. diesem versagen wird auch bei der polizei mit körpereinsatz begegnet. die körperliche gewalt, die der polizist ausübt, wird durch seine betroffenheit als vater legitimiert und durch seine vaterschaft noch einmal im körper verankert.

die familie ist die grundlage des staates. der andere, kinderlose kommissar, dessen missglückende beziehungsversuche ihn als neurotisch ausweisen, ist nicht in der position, dieses postulat und die daraus resultierende gewalt zu hinterfragen. dadurch wird er zum vermittler; er fungiert als feigenblatt. stirnrunzelnd nimmt er die übergriffe zur kenntnis, hat zwar bedenken, aber er unternimmt nichts und erlaubt den zuseherInnen damit, die gewalt des selbstvergessenen schlägers und damit die behaupteten grundlagen dieser handlungen zu akzeptieren: es fehlt scheinbar an geeigneten argumenten gegen die gewalt. statt dessen wird ein zu dieser gewalt gehörendes, ohnmächtiges schlechtes gewissen geliefert, das den namen „gewissen“ schon nicht mehr verdient und nur dazu dient, die private lust an der überschreitung im zaum zu halten: der schläger beugt das gesetz, aber er darf die überschreitung nicht genießen, denn dann könnte er selbst zum gesetzgeber/herrscher werden. statt dessen – und das sage jetzt nur mehr ich, denn ob die anderen dem zustimmen würden, weiß ich nicht – wird seine hilflose, unfähige „liebe“ zu seinen kindern für das system verwertet. es gilt einerseits den delinquenten zu zeigen, dass das gesetz an seinen rändern durchaus seine eigenen regeln bricht, ohne selbst daran zu zerbrechen. der kommissar darf andererseits seine gefühle („was würde ich tun, wenn jemand meinen mädchen antun würde, was der straftäter getan hat?“) durch gewalt ausdrücken, dieser ausdruck wird sogar gewünscht, denn das ihn entfernende disziplinarverfahren steht in der serie bis heute aus. was als neuerung daherkam – der kommissar, der „familie“ hat und eine auf den ersten blick „weiblich“ konnotierte betroffenheit zeigt – erweist sich als das altbekannte, produkt und vermittler einer ideologie der täter.

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