Freitag, 13. November 2009

"dann tu es doch"

ich glaube, in österreich gibt es kein erschrecken über den selbstmord. das heißt nicht, dass die zurückgelassenen nicht daran verzweifeln, hilflosigkeit und schuldgefühle erleben. aber in der gesellschaft -

es ist schwer zu formulieren. wie soll man in worte fassen, was man unter der oberfläche wahrzunehmen meint, und dabei auseinanderhalten, was das eigene ist und was die anderen sind? "Suizidgefahr ist kein Grund gegen eine Abschiebung." das schreibt jedenfalls das bundesasylamt der republik österreich - nebstbei: wunderbares deutsch - in einem bescheid. mit anderen worten: es ist uns egal. aber wie kann es das sein?

(wenn man anfängt, über die haltung der österreichischen seele zum selbstmord nachzudenken, sollte man eigentlich erwin ringel zur hand haben. ohne das buch verstrickt man sich schnell in die widersprüchlichsten ansätze und alles stürmt in unterschiedliche richtungen davon. trotzdem.) in einem so katholisch geprägten land wie diesem ist der selbstmörder noch immer der, der sich der obrigkeit entzieht, und damit ein verbrecher. er muss verurteilt und abgewertet werden. das kann auch geschehen, indem man ihn als schwächlich belächelt, als jemand, der es eben einfach nicht geschafft hat, während man selbst durchhält und weitermacht. denn das ist die andere seite: man will hier extra dafür gelobt werden, sich nicht umzubringen. jeder tag eine besondere leistung, ganz einfach, weil er zu ende gelebt wurde. der selbstmörder hingegen hat es sich leicht gemacht und sich davongestohlen.

man betrachtet, mit anderen worten, den selbstmörder auch mit neid. daher rührt vermutlich ein gutteil der kälte, die man ihm entgegenbringt, und eben auch die kälte der behörde. blind gegenüber den existenziellen zwängen, denen der selbstmörder unterworfen ist, verwechseln die kalten ihre eigene faulheit mit seiner ausweglosigkeit. sie behaupten so gern, sie litten an der selben welt und würden sich am liebsten auch umbringen. in wirklichkeit hassen sie den selbstmörder, weil er ihnen das gegenteil nachweist.

es heißt in der diskussion immer wieder, der staat dürfe sich von der drohung des selbstmords nicht erpressen lassen - was recht sei, müsse recht bleiben. in wirklichkeit wird jedoch nicht recht, sondern die blinde exekution des gesetzes gefordert. eine etablierte tradition der österreich-kritik ist es, diese bewusst gewählte leblosigkeit - die sehnsucht nach einer welt, in der nichts existiert, außer dem vorgeschriebenen - mit einem todeswunsch gleichzusetzen. ich glaube, es ist vielmehr ein tötungswunsch: für die behörde, die "aufräumen" will, trifft das allemal zu.

warum also die gleichgültigkeit, das fehlende erschrecken? ich glaube, es ist schadenfreude. die unbeteiligten überlebenden (nicht die zurückgelassenen in ihrem schmerz) erhalten vom selbstmörder die bestätigung, dass es besser ist, nicht auf seinem individuellen schmerz zu beharren, sondern sich brav einzupassen. er zeigt ihnen durch seine tat, dass zu viel nachdenken tödlich enden kann, dass es einen nirgendwohin bringt, außer nachts allein auf einen schienenstrang.

unter dem strich sind es jedoch alles falsche alternativen. individualität oder anpassung, nachdenken oder nicht, das lässt sich alles nicht entweder dem selbstmöder oder den unbeteiligten überlebenden zuordnen. der selbstmord löscht ja alles aus. doch für das glück, die einzige akzeptable alternative, fehlen die worte und die beschreibungen.

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