Samstag, 21. August 2010

Ein Paar

Aperitiv im Stehen. Drei der vier geladenen Paare haben Wein als Gastgeschenk mitgebracht, auch wir. Der Gastgeber des heutigen Abendessens steht neben mir, zwei Köpfe größer als ich, und erzählt, wie er einmal alle früheren Mitbringsel geöffnet und verkostet hat. "Ein schrecklicher Abend! Das war alles ungenießbar! Wir haben Flasche um Falsche weggekippt!" Einer der Männer fragt nach, ob man sie zu lang gelagert habe oder ob es an der Qualität lag. "An der Qualität! Das war alles Mist! Leider wusste ich nicht mehr, von wem die Flaschen waren. Diesmal merke ich es mir, also sehen Sie sich vor!"

Hahaha, ja - köstlich! Die Männer stehen beim Gastgeber in Lohn und Brot und lachen beflissen, wir Frauen grinsen gequält, mehr wird von uns an diesem Abend auch nicht erwartet. Den Männern ist in den nächsten Stunden die Aufgabe zugewiesen, zu den Monologen des Gastgebers witzige Einwürfe anzubringen oder stumm Interesse zu signalisieren. Dabei kommt es immer wieder zu unangenehmen Momenten, wenn sich Konkurrenz bemerkbar macht und das Ganze die Dramaturgie einer Unterrichtsstunde im Eliteinternat annimmt. Bald bin ich so gelähmt und so geladen, dass es mir nicht einmal gelingt, mit der ebenfalls mitgebrachten Ärztin mir am Tisch gegenüber Kontakt aufzunehmen oder gar ein Gespräch zu beginnen. Ihr scheint es ähnlich zu gehen. Niemand richtet auch nur eine einzige Frage an uns.

Wein und Weinkeller. Kitesurfen in Mosambique. Skifahren und Knieprobleme. Segeln. Sport. Mit einem Wort: Unser Gastgeber ist ein toller Hecht. Wir sitzen schon alle am Tisch, als die Frau wieder hereinkommt, die heute für den Service zuständig ist. Während sie arbeitet, stellt er sie uns vor. "Zwischen unseren Familien besteht schon lang eine Verbindung", sagt er, und ich übersetze es mir im Stillen: Ihr Vater hat schon meinen Vater bedient.

Zum Kaffee werden wir ins Wohnzimmer gebeten. Dort hängt über dem Kamin ein riesiges gemaltes Bildnis der Familie, der Gastgeber und sein Sohn jeweils mit Geige, Mutter und Tochter am Klavier. Ich halte die Luft an und stopfe mir eine der Pralinen in den Mund, die auf kleinen Silbertabletts im Raum herumstehen. Der Schinken wurde nach Fotografien gemalt, erfahren wir, natürlich musste man nicht tagelang sitzen. Anschließend wird uns die Geschichte des Hauserwerbes mitgeteilt: Damals noch "Student" in München, entschloss der heutige Hausherr sich "spontan", dieses Haus zu erwerben, das dem verstorbenen Onkel eines Freundes gehört hatte. Dafür musste er die Wohnung in seinem Elternhaus, die ihm bereits gehörte, an seinen Vater "zurückverkaufen", zu einem guten Preis, wie wir erfahren, denn der Vater unterstützte den Sohn, aber er wurde beileibe nicht über den Tisch gezogen.

Hinter dem Sofa, auf dem wir etwas unbequem flätzen, steht der Flügel, den wir schon von dem Gemälde kennen. Der Gastgeber teilt uns die Qualitäten dieser Marke mit, eine Viertelstunde später liegen die Männer unter dem Klavier, um sich von der ausgefeilten Bauweise des Unterbodens beeindrucken zu lassen. Die Frauen bleiben stehen, es werden noch immer nicht einmal Blicke gewechselt, man nimmt das Einvernehmen ohnehin auch aus dem Augenwinkel heraus wahr. Die Dame des Hauses zupft währenddessen am Seidenvorhang, um eine Steckdose vor den Blicken der Gäste zu verbergen.

Sie ist das kleine Rätsel dieses an Rätseln so armen Abends. Groß, schlank, blondiert, aber im Alter ihres Mannes, bewegt sie sich mit einer unbeeindruckten Selbstverständlichkeit in ihrem Haus. Wir wissen nichts über ihre Herkunft, wenig darüber, was sie arbeitet, aber ihre knochentrockene Bodenständigkeit ist eine Wohltat. "Wie peinlich, ich trage heute das selbe wie auf dem Bild", darauf hatte sie die Runde hingewiesen, während wir im Angesicht des Familienporträts noch um Fassung rangen. Warum man mit einem so lauten Prinzen leben will, wie man jemanden erträgt, dessen gesamte Existenz davon geprägt ist, die Welt als persönlichen Spielplatz und seine Mitarbeiter als Leibeigene aufzufassen - es wird an diesem Abend nicht klarer als bei früheren Gelegenheiten. Sie macht Small Talk, weil es zu ihren Aufgaben gehört, aber in den großen Augen und den angeborenen hängenden Mundwinkeln ist sichtbar, dass sie sich den Abend auch anders vorstellen könnte. Trotzdem ist die Loyalität natürlich bruchlos.

Wir waren noch nicht einmal beim Dessert, als ich mir schon die E. herwünschte. Die hätte den Abend aufgemischt, das weiß ich, und sich nicht so in die Ecke stellen lassen wie ich. - Das erzähle ich dem H., als wir endlich die paar hundert Meter nach Hause spazieren. Er hat es etwas anders erlebt, ist nicht unbeeindruckt geblieben von der Emotionalität, die der Gastgeber, sein Chef, sich erlaubt. Trotzdem sitzen wir beide gleichermaßen erleichtert auf der Terrasse und rauchen noch eine, bevor wir ins Bett gehen, in unserem rumpeligen Haushalt mit den ausgewachsenen Pflanzen im Garten und den Katzenhaaren überall. Was bin ich froh, dass die Zeiten des Großbürgertums vorbei sind, denke ich. Dennoch bleibt meine Stimmung noch für mehrere Tage angeschlagen.

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